Die Macht der Worte – Vorurteile bei psychischen Erkrankungen

So, nun ist es auch mir passiert. In der Vergangenheit schrieb ich schon oft über Vorurteile hinsichtlich psychischer Erkrankungen und auch über Sätze, die manchmal unbedacht fallen und aus Unwissenheit oder eben diesen Vorurteilen resultieren können. Sätze, unter denen Betroffene leiden, weil sie sich nicht verstanden fühlen.

Die Macht der Worte...

„Stell‘ dich nicht so an!“
„Denk‘ doch mal positiver.“
„Das ist alles Einstellungssache.“
„Lach‘ doch mal.“
„Du musst mehr an die frische Luft.“

Es geht also damit los, sich einzugestehen, überhaupt Probleme zu haben. Befindet man sich erst einmal in diesem teuflischen Verdrängungsprozess, so ist es sehr schwierig, aus dieser Spirale wieder auszusteigen. Ohne den Willen zur ganz bewussten Achtsamkeit und Ehrlichkeit mit sich selbst funktioniert es leider nicht – und das kann ein sehr anstrengender Prozess sein. Seid geduldig mit euch, es geht nicht von heute auf morgen!

Selbsterfahrung: Check ✅

Meine Vorstellungskraft hinsichtlich solcher Sätze bekam nun kürzlich ein kleines Update. Die positive Nachricht: Ich kann nun auch aus eigener Erfahrung berichten. Die negative Nachricht: Ich konnte mit der neuen Erfahrung zunächst schlechter umgehen, als ich zuvor vermutet habe.
 
Eigentlich ging ich immer davon aus, dass ich mit diesem Thema solch viele schöne Erfahrungen gemacht habe, dass mich ein vorurteilsbehafteter Satz nicht sonderlich aus der Bahn werfen würde. Schließlich kenne ich genügend Menschen, bei denen ich mir überhaupt keine Gedanken darum machen muss, jemals überhaupt mit einem Vorurteil konfrontiert zu werden.
Jetzt kann ich zu dieser Erfahrung sagen: Das war nicht cool. Das war überhaupt nicht cool.

Innere Konflikte und Schwierigkeiten in der Ausbildung

Vor einem guten halben Jahr begann ich meine Ausbildung an einer Heilpraktiker-Schule in Bremen. Gerade dann, wenn ich psychisch schlechtere Phasen habe, fällt es mir sehr schwer, einen langen Tag durchzustehen und die Konzentration aufrecht zu erhalten. Wenn wir mittwochs von 9:00 Uhr morgens bis 21:30 Uhr abends Schule haben (natürlich mit einigen Pausen zwischendurch), dann muss ich mich mental so vorbereiten und strukturieren, dass ich dem Großteil des Unterrichts folgen kann. Das ist eine Herausforderung, der ich nicht immer gewachsen bin.
Zudem bin ich gezwungen, an vielen Abenden Medikamente einzunehmen, die mich emotional etwas dämpfen. Ihre Wirkung zeigt sich jedoch auch am nächsten Tag: Manchmal bin ich einfach sehr müde, oftmals aber auch richtig gerädert.
 
An einem Mittwoch war so ein Tag. Ich schlief schlecht und war aufgrund der Medikamente furchtbar kaputt. Kopfschmerzen kamen hinzu und der innere Kloß im Hals wurde größer und größer. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Schultag bis zum Ende durchhalten konnte. Das stieß nicht nur auf Verständnis:

„Stell dich nicht so an!“

Autsch. Das war in dieser Situation ein Volltreffer, der mich ziemlich ins Wanken brachte. Besonders, das Gegenüber über die Hintergrunde Bescheid wusste. Meine innere Reaktion auf die Aussage überraschte mich dennoch, weil ich eigentlich doch weiß, dass ich mich nicht anstelle. Im Gegenteil: Ich bin ziemlich stolz darauf, etwas zu schaffen, das noch vor zwei Jahren kaum denkbar gewesen wäre. Und obwohl sich meine innerliche Situation nicht massiv gebessert hat, ist mein Umgang damit doch ganz anders geworden. Die veränderte Einstellung ermöglichte es mir, mich für eine solche Ausbildung zu entscheiden.
 
Obwohl ich mir dessen bewusst bin, trifft mich ein solcher Satz. Vielleicht, weil ich noch nicht selbstsicher genug bin? Vielleicht aufgrund der Enttäuschung darüber, nicht verstanden worden zu sein? Vielleicht aber auch einfach deshalb, weil der Kampf mit dem Leben viel zu real und fühlbar ist, um zu ertragen, ihn von jemanden in die Schublade der „Schwäche“ legen zu lassen.
 
Ich schreibe diesen Text aber nicht aus Wut oder Enttäuschung. Ich schreibe ihn als Appell:

Seid achtsam. Sprecht miteinander und hört den Menschen in eurem Umfeld gut zu. Achtet auf eure Wortwahl. Seid ehrlich, aber auch bedacht. Habt Verständnis, denn jeder ist unterschiedlich. Leidensdruck ist individuell. Helft dabei, Vorurteile auszuräumen. Informiert, klärt auf, erzählt. Reicht euch die Hand – und nicht den Ellbogen.

Unverständnis ist nicht immer böse Absicht. Es rührt oftmals einfach nur daher, dass derjenige, der die Aussage trifft, wirklich nicht versteht oder nachvollziehen kann, welchen Leidensdruck der Betroffene spürt. Deshalb ist es auch für uns wichtig, geduldig zu sein und zu erklären. Wenn wir daraufhin auf offene und interessierte Ohren stoßen, dann ist schon viel geschafft. Wenn nicht – dann müssen wir einen anderen Umgang damit finden und für uns die Konsequenzen schließen, die uns schützen.