Antidepressiva – Ein Für und Wider

Ganz ehrlich: Ich hatte so gar keine Lust, einen neuen Artikel zu schreiben. Die letzten eineinhalb Wochen waren mitunter eine mittelschwere Katastrophe. Am schlimmsten waren jedoch die Absetzerscheinungen, die ich aufgrund eines Medikamentenwechsels hatte. Da ich das Thema aber für unglaublich wichtig halte, bekam ich einen unausweichlichen inneren Drang, mich doch an die Tasten zu begeben…

Placebo oder Wunderpille?

Antidepressiva – ein häufiger Begleiter, wenn es um die Behandlung von Depressionen geht. Und ein verbreitetes Diskussionsthema.
Vorneweg: Ich gehöre grundsätzlich eher zu den „Schluckern“, was bedeutet, dass ich nicht allzu lange überlegen muss, bevor ich wegen einer Beschwerde zum Medikamententäschchen greife. Allerdings ist meine Geduldsgrenze was das Aushalten von Schmerzen oder andere Leiden betrifft innerhalb der letzten Jahre auch konsequent gesunken: Chronischer Kopfschmerz, Rückenschmerzen, Darmprobleme, Allergien, Hirn. Wenn ich also merke, dass meine Kopfschmerzen über den Tag schlimmer und schlimmer werden, dann nehme ich auch schon mal ein bis zwei Ibuprofen 400, um der Schmerzsteigerung und damit einer drohenden Kopf-Explosion entgegenzuwirken.

Antidepressiva hingegen sind im Bereich der Medikation noch einmal ein Thema für sich, denn hier wird keine Entzündung oder ein körperlicher Schmerz behandelt, sondern quasi in die Prozesse im Gehirn eingegriffen. Die Auseinandersetzungen hierzu sind kontrovers, ich höre und lese vermehrt von recht radikalen Ansichten, die ein deutliches JA oder NEIN vermitteln. Manche zweifeln an ihrer Wirksamkeit, sehen Gefahren, andere halten ihre Einnahme für unverzichtbar. Placebo oder Wunderpille. Ich halte letzten Endes beide Extreme für unzureichend durchdacht.

Wie wirken Antidepressiva?

Grundsätzliches Ziel einer Behandlung mit Antidepressiva ist es, depressive Beschwerden wie Niedergeschlagenheit und Erschöpfung zu reduzieren oder zu beseitigen sowie das Risiko eines erneuten Auftretens der Symptomatik zu senken. Es geht quasi darum, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen und der Stärke der Beschwerden Linderung zu verschaffen.
Die genauen Prozesse, die sich dabei abspielen, sind noch nicht zu 100 Prozent erforscht – das Gehirn ist und bleibt ein schwer zu durchschauendes Organ. Mediziner gehen aber davon aus, dass bei depressiven Menschen ein Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn besteht, wie die Gesundheitsinformation erklärt:

Antidepressiva

„Nervenzellen des Gehirns verwenden verschiedene Botenstoffe, um Reize weiterzuleiten. Auch wenn noch nicht alle Details geklärt sind, gehen Fachleute davon aus, dass bei einer Depression das Gleichgewicht von bestimmten Botenstoffen wie zum Beispiel Serotonin verändert ist und manche Nervenverbindungen deshalb gehemmt sind. Antidepressiva sollen die Verfügbarkeit dieser Botenstoffe im Gehirn wieder verbessern. Die verschiedenen Wirkstoffe erreichen dies auf unterschiedliche Weise.“

Dass ein Eingriff in die Vorgänge im Gehirn bei vielen Betroffenen Ängste auslöst, ist meiner Meinung nach absolut nachvollziehbar. Dennoch würde ich die Einnahme und damit die Möglichkeit auf Linderung nicht gleich verteufeln.

Antidepressiva können nicht die Ursache einer Depression bekämpfen!

Wichtig ist die Erwartungshaltung, die man an die Wirksamkeit des Medikaments hat. Das, was jedem Betroffenen vor der Einnahme klar sein muss, ist, dass Antidepressiva nicht die Ursache einer Depression bekämpfen, sondern die Krankheit lediglich unterdrücken und die Symptome lindern. Das bedeutet für mich, dass eine Behandlung der Depression mithilfe von Antidepressiva immer nur therapiebegleitend erfolgen sollte! Um die Ursache der Depression zu bekämpfen und damit das Grundgerüst der Krankheit zu Fall zu bringen, ist eine weitere Behandlung, wie zum Beispiel die Psychotherapie, unbedingt erforderlich!

Was zudem von vornherein vom jeweiligen Arzt intensiv kommuniziert werden sollte, sind die Nebenwirkungen, die bei der Medikamenteneinnahme auftreten können. Diese werden nicht selten so extrem, dass das Medikament abgesetzt und ein neues ausprobiert werden muss. Allerdings lässt es sich zuvor nur schwer abschätzen, welche Nebenwirkungen nun mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten werden, da das von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein kann. Ich zum Beispiel konnte bei meinen Medikamenten bisher noch keinerlei Nebenwirkungen beobachten. Dennoch kenne ich Personen, die die Einnahme der gleichen Medikamente beenden mussten, da die starken Nebenwirkungen nicht länger aushaltbar waren. Hier kann es unter Umständen etwas dauern, bis man unter medizinischer Aufsicht das richtige Medikament für sich entdeckt hat.

Neben der Suche nach dem richtigen Medikament kann sich auch die Suche nach dem richtigen Arzt als schwierig erweisen. Viele unterschätzen die Wichtigkeit, einen Mediziner zu finden, der einem sympathisch ist und zu dem man Vertrauen aufbauen kann. Denn es geht besonders bei psychischen Problemen nicht nur um Kompetenz und Fachwissen, sondern auch um die persönliche Zufriedenheit mit dem behandelnden Arzt, die durch genommene Zeit, Freundlichkeit, Empathie und Transparenz hinsichtlich der einzelnen Behandlungsschritte entsteht.
Ich spreche hier aus eigener Erfahrung, denn ich habe mich ein halbes Jahr von dem für mich falschen Arzt behandeln lassen, weil ich bei diesem einen frühen Termin bekam und zunächst aus Bequemlichkeit dort bleiben wollte. Die Tatsache, dass ich mich bei ihm zunehmend unwohler fühlte und den Eindruck hatte, als würde er sich hinsichtlich der Medikation mit dem erstbesten Therapieversuch zufrieden geben, obwohl dieser nicht die gewünschte Wirkung zeigte, ignorierte ich zunächst. Doch nachdem ich mehrmals alle sechs Wochen zu ihm kommen sollte und nach jeweils weniger als zwei Minuten Behandlungszeit wiederholt unzufrieden aus seinem Zimmer stapfte, reichte es mir und ich wechselte den Arzt.
Jetzt, wo ich meinen derzeitigen Neurologen kennengelernt habe, weiß ich erst, wie wichtig die eigenene Zufriedenheit mit dem behandelnden Arzt tatsächlich ist. Ich fühle mich nun wesentlich wohler und bin sogar leicht zuversichtlich, was eine baldige Besserung der Symptome anbelangt!

Antidepressiva machen nicht abhängig - können aber starke Absetzerscheinungen hervorrufen.

Was viele nicht wissen: Antidepressiva machen nicht abhängig. Es können allerdings Absetzerscheinungen auftreten, die sich in ihrer Ausprägung nicht sonderlich von einem Entzug unterscheiden. Und genau das ist mir im Laufe der letzten Wochen passiert: Ich nahm seit einem knappen Jahr Venlafaxin 225mg ein – das ist ein stimmungsaufhellendes und antriebsförderndes Antidepressivum in recht hoher Dosis. Da dieses bei mir jedoch nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, haben mein Neurologe und ich entschieden, das Medikament langsam ausschleichen zu lassen und einen anderen Wirkstoff zu probieren.

An dieser Stelle ein ganz, ganz dringender Appell an alle Betroffene dort draußen: 

Setzt niemals ein Medikament ohne ärztliche Aufsicht und abrupt ab!

Die Absetzerscheinungen können mitunter richtig heftig werden. Als ich auf 37,5mg runter war und dann auf 0 gegangen bin, dachte ich zunächst, dass es genauso reibungslos verlaufen würde, wie es das bis zu diesem Zeitpunkt tat. Doch trotz des langsamen Ausschleichens von Venlafaxin bekam ich mehrere Absetzerscheinungen: Angefangen hat es mit sogenannten „brainzaps“, ein Phänomen, das man auch als „Stromschläge“ beschreiben könnte. Dabei beginnt der Körper insbesondere bei Bewegungen unangenehm zu zucken. Dies wurde begleitet von Schwindel, Übelkeit, sehr schlechter Stimmung und Aggressivität.
Venlafaxin ist ein Wirkstoff, der bekannt dafür ist, recht schlimme Nebenwirkungen während des Absetzens hervorzurufen. Ich nehme das Medikament nun seit sechs Tagen nicht mehr und habe immer noch mit den Nebenwirkungen zu kämpfen (mein Umfeld übrigens auch). Die starke Ausprägung der Absetzerscheinungen hat mich trotz Vorwarnung schockiert – ich wusste zwar, woher die Symptome kommen und dass das wieder vorbeigehen wird, dennoch bin ich geradezu panisch geworden als ich merkte, was das mit mir macht. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich die Einnahme von heute auf morgen abgebrochen hätte.

Ein Fazit zur Einnahme von Antidepressiva: JA, aber...

Schlussendlich bin ich der Meinung, dass Antidepressiva sehr sinnvoll sein können: Neben einer Psychotherapie können sie unterstützend wirken und für enorme Entlastung sowie geringeren Leidensdruck sorgen! Auch ich habe für mich entschieden, die Einnahme von Medikamenten begleitend fortzusetzen.
ABER: Die Einnahme sollte immer in Absprache mit dem behandelnden Neurologen oder Psychiater erfolgen, der sich mit der Krankengeschichte befasst hat, sich mit dem Für und Wider der Medikamente auskennt sowie transparent mit dem Patienten kommuniziert. Hausärzte verschreiben oftmals vorschnell, ohne sich in diesem Bereich ausreichend auszukennen – ich würde immer dazu tendieren, die Einnahme von einem Facharzt begleiten zu lassen.
Dass Medikamente hin und wieder auch als einzige Therapiemaßnahme verschrieben werden, halte ich für den falschen Weg. Es sollte in erster Linie immer darum gehen, die Ursache der Depression zu bekämpfen, um längerfristig von der Krankheit befreit zu werden. Antidepressiva können dies nicht leisten und sind damit aus meiner Sicht in den allermeisten Fällen nur als Therapiebegleitung sinnvoll. Dann jedoch können sie zu einem treuen Begleiter werden, der sich sehr positiv auf die Betroffenen und die Symptome einer Depression auswirken kann.

Im Übrigen war das Schreiben dieses Artikels nun doch gar nicht so schlimm. Da haben wir’s wieder: Einfach machen!

Links, auf denen ihr euch detaillierter über Antidepressiva informieren könnt:

www.gesundheitsinformation.de
www.nie-mehr-depressiv.de
www.therapie.de