Yin und Yang – Zwischen Liebe und Schmerz

Liebe kann so schön sein. Sie hüllt dich in Geborgenheit, flutet dich mit Wärme und wiegt dich in Leichtigkeit. Und dann kann Liebe dafür sorgen, dass du den größten Schmerz deines Lebens fühlst. Dass du nicht mehr weißt wohin mit deiner verdammten Angst und deiner ewigen Sorge. Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach aufhören zu lieben und im selben Augenblick liebe ich wieder so sehr, dass es wehtut. Ein Leben ohne Liebe ist sinnlos, doch wenn man liebt, dann bekommt man den Schmerz oftmals gratis dazu. 

Weniger lieben, um freier zu leben?

Wir haben März 2021, die Corona-Pandemie ist noch immer hoch im Kurs und ich mache mir ernsthafte Sorgen um meinen Geisteszustand. Krank vor Sorge zu sein – das ist kein lapidares Sprichwort, sondern die perfekte Beschreibung meiner täglichen Realität. Schnotti und Glimmer, meine 8-jährigen Katzen, sind ziemlich gleichzeitig ziemlich krank geworden. Ich wache mittlerweile in Sorge auf und schlafe in Sorge wieder ein. Dazwischen sorge ich mich. Wir fahren Karussell im Land der schlechten Nachrichten und hangeln uns an Bindfäden über Straßen aus Glassplittern. Die Pechsträhne ist so lang wie das Negativ meiner Geduld und ich beginne langsam aber sicher, an dieser ganzen Situation vollends zu verzweifeln. Doch gibt es einen Ausweg? Kann man versuchen, weniger zu lieben, um freier zu leben? 
 
Manchmal fühle ich mich, als sei ich gefangen in meinen Gedankenschleifen, eingesperrt in meinem eigenen, ganz persönlichen Kerker mit Gitterstäben aus Angst und Panik. Um mich herum der zermürbende Konjunktiv: „Was wäre, wenn…?“ Was wäre, wenn jemandem etwas passiert, den ich so gern habe? Wie ginge es dann weiter? Wie groß kann Schmerz werden? Fragen, auf die es keine Antwort gibt – und die doch immer und immer wieder vor meinem inneren Auge tanzen. Die Gedanken tricksen mich aus und wirbeln mich umher, die Gefühle danach überschwemmen mich. Seiner eigenen Angst offensichtlich so ausgeliefert zu sein – das fühlt sich überhaupt nicht gut an. 

Das Yin und Yang aus Liebe und Schmerz

Schnotti und Glimmer sind vieles in meinem Leben. Sie sind meine Mitbewohner, meine Katzen, meine Kinder, mein Anker, meine Ruhe, meine Ungeduld, meine Geduld, meine Verantwortung. Ihr Schnurren ist heilsam, ihr Maunzen nervig und ihre Persönlichkeiten ein Lichtblick der Heiterkeit. Wenn ich schon nicht für mich selbst aus dem Bett steige, dann zuverlässig und immerzu für sie. Und ja: Sie sind Tiere, können nicht sprechen und ihre Denkfähigkeit besitzt deutliche Grenzen – und dennoch habe ich selten so sehr geliebt. 
 
Liebe und Schmerz sind wie Yin und Yang – das eine gehört untrennbar zum anderen. Ein Drahtseilakt, den ich wohl noch üben muss, wenn der Schmerz ständig Überhand nimmt. Natürlich macht es Angst, wenn etwas oder jemand, den man so gern hat, sehr krank ist. Das ist völlig normal. Doch wenn diese Angst zum ständigen Begleiter wird, der einen abhält von alltäglichen Dingen des Lebens, dann stellt sich die Frage, ob diesem Zustand der Dauerbelastung ein tieferes Problem zugrunde liegt.

Muss Liebe Grenzen haben?

Am Anfang dachte ich, dass Liebe Grenzen haben muss. Dass man zu sehr lieben kann. Doch das stimmt nicht: Ich glaube, dass dieser Gedanke zwei gegensätzliche Themen vermischt – nämlich zu lieben und nicht zu lieben. Denn was bedeutet es, etwas oder jemanden so sehr zu lieben, dass einen der Gedanke an den Verlust völlig handlungsunfähig und gefangen zurücklässt? Ich denke nicht, dass man zu sehr lieben kann, sondern vielmehr zu wenig – denn ständige und schmerzhaft starke Verlustangst ist eng verknüpft mit dem fehlenden Selbstvertrauen und dem Mut und der Hoffnung, auch mit dem Verlust irgendwann wieder in der Lage zu sein, ein „schönes“ Leben zu führen. Vielleicht sollten wir, wenn die Verlustangst uns krank macht, uns also nicht fragen, ob wir zu viel empfinden, sondern ob wir zu wenig empfinden für uns selbst und unser Leben. Wovon wir unsere Existenz abhängig machen. Selbst der Sinn seines Lebens zu sein ist genauso kitschig wie wichtig, um mit schweren Situationen wie (drohenden) Verlusten irgendwie zurechtzukommen. 
 
Das bedeutet nicht, dass Verlustangst keine Daseinsberechtigung hat. Im Gegenteil: Verlustangst ist eine wunderschöne Offenbarung. Sie entspringt etwas sehr Positiven und wächst mit dem Dünger aus guten Gefühlen. Wer Verlustangst hat, der hat zuvor etwas sehr Schönes erlebt. Sie ist das normalste der Welt, wenn man in der Lage ist, zu lieben. Doch sie kann auch Überhand nehmen. Und wenn das den Alltag langfristig negativ beeinflusst, dann schadet es nicht, genauer hinzuschauen und herauszufinden, warum das so ist. 

Ein langer Weg

Noch bin ich Getriebene meiner Gefühle und überforderter Zuschauer meiner Gedankenschleifen. Die Kontrolle, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, wiederzuerlangen, bedeutet ein Prozess, der kleinschrittig ist. Wenn das per Fingerschnipp und gutem Willen möglich wäre, dann hätten sich bereits viele Probleme sehr schnell erledigt. Wie so oft beginnt auch dieser Weg mit dem Bewusstsein dessen, was ist.  

Und dann: Eigene Ressourcen aufbauen, Selbstbewusstsein stärken und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln. Weiter lieben mit der Angst. Lieben.