Genesungsbegleiterin bei Caspar & Dase

Seit dem 01. Juli 2023 arbeite ich in der ambulanten psychiatrischen Pflege bei Caspar & Dase als Genesungsbegleiterin. Caspar & Dase ist ein ambulanter Fachpflegedienst in Niedersachsen, welcher auch mit einem kleinen Team in Bremen tätig ist. Hier habe ich die Möglichkeit bekommen, nach langer Zeit endlich ins Berufsleben einzusteigen.
Als Genesungsbegleiterin treffe ich mich mit unseren Klienten – zumeist im häuslichen Umfeld – und führe Gespräche über ihre Alltagsbelastungen. Dies funktioniert mit meinen Kollegen im Tandem: Die Besuche finden oftmals im Wechsel statt, je nachdem, was sich die Klienten von uns wünschen. Dabei ist die Pflegeprozessplanung Aufgabe meiner Kollegen, welche ich richtungsweisend bei meiner Arbeit berücksichtige.
Um einen besseren Einblick in die Berufsmöglichkeiten von Genesungsbegleitern zu geben, möchte ich euch mehr über meine Arbeit erzählen, die grundsätzlich sehr abwechslungsreich, spannend und intensiv ist.
Arbeit als Genesungsbegleiterin in der ambulanten psychiatrischen Pflege
Wir unterstützen Menschen, welche unter seelischen Belastungen leiden und oftmals psychiatrische Diagnosen mitbringen, auf ihrem individuellen Genesungsweg. Die Leitidee ist Recovery-orientiert und beinhaltet den Gedanken, dass ein selbstbestimmtes Leben auch trotz eventueller Symptome möglich ist. Dies zeigt, dass es hierbei nicht primär um die Beseitigung von Symptomen geht, sondern um die Umgangsfindung mit seelischen Belastungen und Herausforderungen des Alltags. Wir begleiten Menschen beim Entdecken von Hoffnung und Sinn im Leben, arbeiten Stärken und Fertigkeiten heraus und behandeln unterschiedliche Themen, welche sich an einer positiven Gedankenausrichtung orientieren. Häufig beginnen wir mit Biografiearbeit und Psychoedukation, tauchen in die Lebenswelt der Klienten ein und entwickeln gemeinsam Wünsche und Ziele, an derer sich die weitere Zusammenarbeit ausrichtet. Es lässt sich jedoch keine allgemeingültige Aussage zu den Versorgungsthemen treffen, da jedes Schicksal und damit auch die Strategiefindung immer individuell ist.
Meine tiefe Überzeugung ist die Recovery-orietierte Praxis, wozu es noch einen gesonderten Beitrag geben wird. Ein Beispiel, welches einen großen Teil meiner Arbeit definiert, ist das Resilienztraining. Resilienz ist die seelische Widerstandsfähigkeit, die jeder Mensch mehr oder weniger ausgeprägt mit in die Zusammenarbeit bringt. Unter ihr versteht man die Fähigkeit, sich nach einer belastenden Herausforderung, einer Krise oder einem Trauma gut zu erholen und gelassener auf Stress-auslösende Reize zu reagieren. Resiliente Menschen schaffen es, ihre psychische Gesundheit trotz Widrigkeiten aufrechtzuerhalten oder schnell wiederherzustellen. Forscher gehen davon aus, dass resiliente Menschen eine so genannte „Selbstwirksamkeitserwartung“ haben – also die Überzeugung, dass sie ihr Leben aus eigener Kraft meistern und ihre Umwelt aufgrund ihrer Kompetenzen beeinflussen können. Zudem kann das soziale Umfeld und die Fähigkeit, Unterstützung anzunehmen, den eigenen Schutzfaktor gegenüber Widrigkeiten stärken. Weiterhin neigen resiliente Menschen nicht zum Katastrophisieren und denken zuversichtlicher über ihre Zukunft.
Die "Sieben Säulen der Resilienz"
Mit einigen Klienten arbeite ich deshalb ganz praktisch an den „Sieben Säulen der Resilienz“. Mit diesen habe ich selbst bereits hinsichtlich meiner persönlichen Auswirkungen der Depression und der Angststörung gearbeitet. Die „Sieben Säulen der Resilienz“ umfassen:
- Optimismus: Viele Menschen mit seelischen Belastungen leiden unter einer tiefen Hoffnungs- und Sinnlosigkeit. Hoffnungslosigkeit ist ein Gefühl, welches uns passiv das Leben „ertragen“ lässt, denn wir glauben nicht an eine Veränderung unserer Lebensumstände und eine Verbesserung unserer Gefühlslage. Wenn uns die eigene Existenz sinnlos erscheint, dann gibt es auch keinen Grund, Veränderungen anzustreben. Eine optimistische Lebenseinstellung und der Glaube daran, das Leben selbst beeinflussen zu können, bringt uns in die Aktivität und ins selbstwirksame Handeln. Was ich immer wieder sowohl an mir selbst als auch an der Arbeit mit verschiedenen Menschen entdeckt habe ist, dass Hoffnungslosigkeit viele von uns in einer gewohnten Routine gefangen hält. Diese Routine vermittelt den Trugschluss von Sicherheit – denn Veränderung geht auch oftmals mit dem Risiko des Scheiterns einher. Die große Angst, negative Erfahrungen zu machen und die Konsequenzen unserer Entscheidungen tragen zu müssen, sorgt häufig auch dafür, dass uns der Stillstand als die bessere Alternative erscheint. Doch dies verhindert eben auch die Möglichkeit, unsere Selbstwirksamkeit zu entdecken und aus ihr wieder Hoffnung zu schöpfen. Optimismus ist damit ein großer Grundbaustein, welcher für ein selbstbestimmtes Leben mit Wünschen und Zielen notwendig ist.
- Akzeptanz: Akzeptanz wird oftmals mit Passivität verwechselt, sie meint jedoch das Gegenteil. Denn nur, wenn wir den Status Quo akzeptieren (z.B. „Ich habe keinen Antrieb für meine alltäglichen Aufgaben“), so können wir auch gezielt überlegen, wie wir eine positive Entwicklung herbeiführen können. Es gab eine Phase, in der habe ich mich niedergemacht, da ich Schwierigkeiten hatte, meinen Haushalt zu führen. Die Auflehnung gegen das, was ist, hat mich wütend und handlungsunfähig gemacht. Erst die gedankliche Ausrichtung: „Ich habe aufgrund meiner seelischen Belastungen nun einmal andere Voraussetzungen, durch die kleinste Alltagstägigkeiten eine große Herausforderung darstellen“, hat mich in die aktive Rolle gebracht, nach einer Strategie zu suchen, durch die ich den Ist-Zustand verändern kann.
- Lösungsorientierung: Wir alle kennen Grübelgedanken. Diese haben die Eigenschaft, nicht lösungsorientiert zu sein sowie immer und immer wieder um Probleme zu kreisen. Ich selbst habe das Grübeln sicherlich zum alltäglichen Hochleistungssport gemacht und bin regelrecht mürbe und verzweifelt geworden. Das lösungsorientierte Denken legt den Fokus auf Dinge, die sich ändern lassen, sowie die Strategiefindung. Wir entfernen uns damit vom Problem, indem wir uns auf unsere Handlungsmöglichkeiten konzentrieren.
- Opferrolle verlassen: „Ich bin so, wie ich bin, weil ich in meiner Kindheit nicht genügend Liebe bekommen habe.“ Dieser beispielhafte Satz zeigt, wie sich jemand eine Selbstlimitierung auferlegt, indem er in der so genannten Opferrolle gefangen ist. Die Gedanken schweifen immer wieder auf Erfahrungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit, ohne die gegenwärtige Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen bzw. übernehmen zu können. Diese Rolle zu verlassen bedeutet nicht, die Vergangenheit zu ignorieren oder zu verleugnen, sondern diese in den Hintergrund zu stellen, sich auf die heutigen Möglichkeiten zu fokussieren, unseren Einfluss anzuerkennen und sich selbst wieder zum Autor unserer Zukunft zu machen.
- Verantwortungsübernahme: All die vorherigen Säulen implizieren, selbst aktiv zu werden und damit die Verantwortung für unser Leben zu tragen. Dies scheint eine schwere Last und damit eine große Herausforderung – doch die Entdeckung unseres eigenen Einflusses und unserer Autonomie kann eine wahrliche Erleichterung sein, welche zudem den Mehrwert von eigens geschaffenen Erfolgserlebnissen auf unser Selbstvertrauen und Wohlbefinden deutlich macht.
- Netzwerkorientierung: Uwe Gonther, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie ärztlicher Direktor des Ameos Klinikum Bremen, sagte einst in einem Interview, dass er das „Drüber reden“ als besonders bedeutsam für Menschen mit seelischen Belastungen hält. Das eigene Netzwerk hat häufig einen stabilisierenden Charakter und schafft die Möglichkeit, unser Innerstes nach außen zu kommunizieren. Dies umfasst sowohl das private Umfeld als auch ein professionelles Hilfenetzwerk, auf welches wir in Krisen zugreifen und uns Unterstützung holen können.
- Zukunftsorientierung: Zu guter Letzt bedeuten all die Säulen der Resilienz eben auch eine Fokussierung auf die Zukunft. Unsere Vergangenheit ist passiert und wir brauchen diese nicht vergessen, doch das Hauptaugenmerk liegt nun darauf, in eine hoffnungsvolle Zukunft zu blicken und durch Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung unsere Handlungsmöglichkeiten zu entdecken sowie Lebensqualität herzustellen.
Das Gespräch über die „Sieben Säulen der Resilienz“ im individuellen Zusammenhang mit dem eigenen Leben ist ein ganz praktisches Beispiel, wie man sich meine Arbeit in der ambulanten psychiatrischen Pflege als Genesungsbegleiterin vorstellen kann. Diese inhaltliche Ausrichtung verfolgt den Recovery-orientierten Gedanken und die Beschäftigung mit Resilienz kann für jeden Menschen ein wichtiges Tool sein, um die eigene Lebensqualität zu steigern.
Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechterspezifische Schreibweise sowie auf eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle Personenbezeichnungen sollen dennoch als geschlechtsneutral angesehen werden.